Naturschutzverbände: Hohe ökologische Wertigkeit des Großen Ochsenkopfes

17.9.2017 Eine stadtökologische und bioklimatische Bewertung

Die Grünfläche am Großen Ochsenkopf ist laut Klimagutachten der Stadt Heidelberg von 2015 ein Ausgleichsraum mit sehr hoher Kaltluftlieferung und deshalb für den Luftaustausch mit bioklimatisch belasteten städtischen Räumen von großer Bedeutung. Ermöglicht wird der Luftaustausch durch die Talabwinde aus dem Odenwald.

Am Ende des Neckartals fächern sich diese Winde nach Nord und Süd auf wobei der Ausgleichsraum am Großen Ochsenkopf den südlichen Strom ermöglicht.

Auf der Fläche befand sich von 1913 bis 1970 der Güterbahnhof der OEG (http://www.linkfang.de/wiki/Oberrheinische_Eisenbahn). Nach Einstellung des Schienenverkehrs und Abriss der Gleisanlagen wurde die Fläche sich selbst überlassen. In dieser Zeit entwickelte sie sich im östlichen Teil zu einer Glatthaferwiese während der westliche Teil eine typische  Ruderalfläche darstellt. Erstaunlich ist die hohe Biodiversität auf den beiden Teilflächen. Eine Erhebung der dort vorkommenden Pflanzen durch Heidelberger Mitglieder des NABU und des BUND am 23.6.2017 ergab 97 Arten, eine zweite am 15.8. weitere 77 Arten, darunter die Mehlige Königskerze (Verbascum lychnitis), die besonders auf Trocken- oder Halbtrockenrasen vorkommt.

Während einer im Januar 2016 durchgeführten Exkursion konnten  hier innerhalb einer Stunde 16 Vogelarten gezählt werden. Im Stadtgebiet von Heidelberg sind solche Flächen auf Grund der immensen Bautätigkeit mittlerweile extrem selten.. Generell bieten Ruderalflächen bedrohten Pflanzen-und Tierarten als Ersatzbiotop neuen Lebensraum. Da solche Flächen nicht landwirtschaftlich genutzt und deshalb auch nicht gedüngt werden, können sie sich zu sehr artenreichen Biotopen entwickeln. Diese wiederum ziehen große Mengen Insekten an, von denen viele Arten durch Versiegelung der Landschaft sowie Intensivlandwirtschaft bereits im Bestand gefährdet sind. Das Bundes-Umweltministerium antwortete im Mai 2017 auf eine Anfrage aus dem Bundestag, dass 37,9 % der aktuellen Rote-Liste Insektenarten als ausgestorben oder bestandsgefährdet einzustufen sind (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/131/1813142.pdf).

Besonders gefährdet sind laut Ministerium Falter, Heuschrecken und Schwebfliegen. Gerade diesen Arten bieten artenreiche Ruderalflächen wichtigen Lebensraum zur Eiablage und Larvenentwicklung. Die Folgen des Insektenrückgangs sind gravierend. Das Ministerium beziffert den Rückgang auf bis zu 80% (http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/insektensterben-80-prozent-weniger-insekten-als-1982-a-1157898.html). Mit den Insekten schwindet auch die Nahrungsgrundlage für insektenfressende heimische Brutvögel und Fledermäuse.

Der Ausgleichsraum am Großen Ochsenkopf ist deshalb von großer Bedeutung nicht nur für das Klima in den westlichen Bezirken Heidelbergs, sondern auch aus Sicht des Naturschutzes. Er sollte daher nicht nur erhalten werden, sondern benötigt im jetzigen Zustand dringend Pflegemaßnahmen, um einer Verbuschung u.a. durch Brombeeren entgegenzuwirken und die Bestände der Kanadischen Goldrute im nordwestlichen Teil deutlich zu reduzieren. Auch eine abschnittsweise erfolgende, mehrmalige Mahd wäre wichtig, um den Eintrag von Samen weiterer Blütenpflanzen zu ermöglichen.

Insbesondere aus naturpädagogischer Sicht besitzt diese Ruderalfläche mit ihrer Artenvielfalt und aufgrund ihrer Größe erhebliches Entwicklungspotenzial. Sie bietet sich beispielsweise als möglicher Naturerfahrungsraum an. Das Ziel von Naturerfahrungsräumen ist es, Natur vor allem für Kinder und Jugendliche in der Stadt wieder erfahrbar zu machen. Heranwachsenden ist in unseren heutigen Städten zu wenig Raum für das Erleben von Natur geblieben. Die in früheren Zeiten reichlich vorhandenen frei zugänglichen Brachflächen und sonstige naturnahe Freiräume im besiedelten Bereich sind inzwischen fast vollständig entweder überbaut oder in gestaltete Grünanlagen verwandelt bzw. als Vorrangflächen des Naturschutzes als frei bespielbarer Bewegungsraum verloren gegangen. Dadurch werden Kindern und Jugendlichen die natürlichen Lebensräume der Tier- und Pflanzenwelt fremd. . Auf Grund der Nähe zu mehreren Bildungseinrichtungen und der guten Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln bieten sich z.B. Exkursionen für Schulklassen sowie interessierte Bürger an. Die Fläche sollte daher auch in das Programm von „Natürlich Heidelberg“ aufgenommen werden.

Besonderer Artenschutz:

Die Grünfläche am Großen Ochsenkopf hat sich zum Lebensraum für nach dem Bundesnaturschutzgesetz besonders geschützte Arten entwickelt. Als relevante Artengruppen sind hier insbesondere folgende zu nennen:

  • Reptilien: Mauer- und Zauneidechse (insbesondere südlich der OEG-Linie sowie südlich der HIS)
  • Europäische Vogelarten: der ältere Baumbestand ist für Baumbrüter wie z. B. Stieglitz und Grünfink von Bedeutung. Höhlenbrüter wie Grünspecht, Buntspecht, Gartenbaumläufer, Kohl- und Blaumeise finden hier ebenfalls geeigneten Brutlebensraum. Die von Gebüschen dominierte Sukzessionsfläche zwischen OEG-Linie und Bahngleise ist Brutlebensraum von Gebüschbrütern wie Garten-, Klapper- und Mönchsgrasmücke sowie der Amsel. Auch der in Baden-Württemberg sehr seltene Orpheusspötter, für den als schutzbedürftige Zugvogelart nach Artikel 4 Absatz 2 der EU-Vogelschutzrichtlinie auch Schutzgebiete in Baden-Württemberg gemeldet wurden, ist hier ein potenzieller Brutvogel.

Bevor Eingriffe in diese Fläche stattfinden, ist deshalb auch aus artenschutzrechtlicher Sicht zwingend eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung durchzuführen.

 

Aufgrund der oben beschriebenen naturschutzfachlichen Wertigkeit der Fläche kommt dem Raum eine nicht zu unterschätzende Bedeutung im innerstädtischen Biotopverbund zu. Gerade für den Biotopverbund mittlerer sowie trockener Standorte ist die Fläche als innerstädtischer Trittstein von Belang.

gez.

Rainer Zawatzky, BUND Heidelberg

Sebastian Olschewski, NABU Heidelberg

Karl-Friedrich Raqué, Naturschutzbeauftragter Stadt Heidelberg

Franz Auer, NABU Heidelberg

Volker Violet, NABU Heidelberg

Gerhard Kaiser, Landesnaturschutzverband, Baden-Württemberg,

Arbeitskreis Mannheim, Heidelberg, Rhein-Neckar

 

17.09.2017 - 11:45